Spezialinteressen

Dies beschreibt ein intensives Interesse, dem mit sehr viel Leidenschaft nachgegangen wird. Das Vorhandensein von Spezialinteressen ist eines der Diagnosekriterien sowie ein gut bekanntes Phänomen des Autismus. Das Bild, welches in der Gesellschaft von Spezialinteressen herrscht, ist allerdings etwas verzerrt, oft wird es auf Zahlen, das Auswendiglernen von Bahnhaltestellen oder Briefmarkensammeln beschränkt. Dabei kann alles ein Spezialinteresse sein. Die Vorstellung, dass Autisten oft eine Inselbegabung haben, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Spezialinteressen. Wenn sich jemand leidenschaftlich einen grossen Teil seiner wachen Zeit mit einem Thema beschäftigt, ist es nur logisch, dass er in diesem Gebiet mehr Wissen ansammelt als jemand, der sich “nur” beruflich oder als Hobby damit auseinandersetzt. 

Spezialinteressen sind oft Dinge, mit denen sich Autisten stark identifizieren und über die sie auch gern reden. Dies kann sich dann in einem Redefluss äussern, der sich fast nicht mehr stoppen lässt.
Früher war ich immer etwas überfordert, wenn ich nach meinen Hobbys gefragt wurde, weil ich das Gefühl hatte, zu wenige davon zu haben. Nun, ich habe wenige, diese verfolge ich aber sehr intensiv.

Nähen ist für mich seit langer Zeit ein Spezialinteresse. Während der Lehre und auch später habe ich fast täglich nach der Arbeit noch für mich selbst genäht. 
Auch (selbst)Reflexion und Kommunikation gehören für mich in diesen Bereich, die unterschiedlichen Arten, wie man kommunizieren kann, haben mich schon immer fasziniert. In diesen Bereich gehört auch mein gesteigertes Interesse an Sexualität, das sich schon in der Primarschule zeigte, sowie, seit ich den Begriff mit 25 Jahren kennengelernt habe, an BDSM. Dies nicht nur im Privaten, sondern auch als langjähriges Vorstandsmitglied in der IG-BDSM. Die unterschiedlichen Arten, wie man Beziehungen leben kann, finde ich auch sehr interessant. Ganz grundsätzlich, wie man verschiedene Bedürfnisse durch Kommunikation miteinander in Einklang bringen kann. 

Spezialinteressen sind immer auch mit einer Hyperfixierung verbunden und haben eine grosse Chance, einen Hyperfokus auszulösen.

Hyperfixierung

Dies beschreibt eine starke Fixierung auf etwas. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, zum Beispiel ein Thema, ein Nahrungsmittel, ein Mensch oder ein Kleidungsstück. Ein Hyperfokus kommt und geht, wie er Lust hat, mal dauert er nur ein paar Tage, mal jahrelang.

Es gibt ja das Phänomen, dass schwangere Frauen plötzlich überall Babys sehen. Dies beschreibt es eigentlich ganz gut. Wenn ich eine Hyperfixierung habe, sehe ich das überall. Aktuell ist es bei mir z.B. das Thema Autismus. Aber auch wenn ich wochenlang dasselbe esse, ist dies eine -oft wiederkehrende- Hyperfixierung. Oder wenn ich immer wieder an dasselbe Ding denke, das ich eigentlich nicht brauche, aber aus unerfindlichen Gründen unbedingt haben will. Manchmal habe ich dann Glück und die Fixierung verschwindet wieder, manchmal muss ich mir das Ding dann auch einfach kaufen, damit sie verschwindet. 

Schwierig finde ich es, wenn sich die Hyperfixierung an einem Menschen festbeisst. Dann kann ich ganz schlecht unterscheiden, was ehrliche Zuneigung ist und was Hyperfixierung, zudem finde ich es nicht gesund, weil es mich ein Stück weit von der Person abhängig macht. Dies passiert mir zum Glück nur sehr selten und löst sich meist in wenigen Tagen wieder auf.

Hyperfokus

Dies ist ein Zustand starker Konzentration auf etwas. Diese Konzentration kann so stark sein, dass man alles andere vergisst, zum Beispiel das Essen und Trinken oder das man eigentlich schon lange aufs WC müsste. Es ist eine Art Tunnelblick, man macht etwas und dieses Etwas ist das einzige, was existiert.

Es ist eine Art Trance Zustand, den ich sehr liebe, weil er das Hintergrundrauschen abstellt, solange er aktiv ist. Ich komme in diesen Zustand, wenn ich nähe, male, oder solche Texte schreibe, aber auch beim BDSM, wenn ich ganz auf mein Gegenüber, einen Reiz oder ein Gefühl fokussiert bin. Ich bin dann nur auf diese eine Sache konzentriert, alles andere ist unwichtig. Der Hyperfokus legt sich auch meist erst, wenn die Sache, auf die er sich bezieht, abgeschlossen ist. Darin unterbrochen zu werden, empfinde ich oft fast als persönlichen Angriff, dies kommt daher, dass der Unterbruch mich wieder in die volle Realität holt und somit auch das Hintergrundrauschen wieder einschaltet, dem ich gerade so erfolgreich entflohen bin.

Selektiver Mutismus

Damit ist das Unvermögen gemeint, in bestimmten Situationen zu sprechen. Bei mir tritt das vorwiegend auf, wenn ich Reizüberflutet bin. Dies kann von einem anstrengenden Ausflug in die Stadt kommen oder von einem intensiven BDSM-Spiel. Es ist also nicht grundsätzlich mit negativen Dingen verbunden, sondern kann auch von Positivem kommen.

Es ist in diesen Momenten für mich einfach viel zu anstrengend, meine Stimmbänder und meinen Mund dazu zu bringen, Worte zu formulieren. Oft ist dies gepaart mit einem grundsätzlichen Unvermögen zu feinmotorischen Bewegungen, so kann das simple Öffnen einer Flasche dann ein unüberwindbares Hindernis für mich sein.

Mich stört das in den Momenten, wo es von positivem ausgelöst ist, auch nicht, ich bin dann einfach in mir versunken, verarbeite alles was geschehen ist und geniesse die Stille. Wenn ich mich dann doch wegen irgendwas mitteilen möchte, mache ich das meistens in Zeichensprache und meine Lieblingsmenschen haben gelernt, welche Handbewegung wofür steht. Wenn in solchen Momenten jemand mit mir sprechen will, empfiehlt es sich, mir einfache Ja / Nein Fragen zu stellen, dann kann ich einfach nicken oder den Kopf schütteln. Grundsätzlich möchte ich dann aber eher in Ruhe gelassen werden.

Hintergrundrauschen

Als Hintergrundrauschen bezeichne ich alles, was zwar nicht unmittelbar wichtig ist, aber ständig bei mir mitläuft. Dies können Geräusche sein, Bewegungen in meinem Sichtfeld, und Gedanken. Wenn ich Zuhause bin, weiss ich zum Beispiel fast immer, wo sich meine Mitbewohner befinden, auch wenn ich mit angelehnter Tür in meinem Zimmer bin und nicht aktiv darauf achte. Ich nehme den sensorischen Input meiner Kleider ständig wahr, nehme wahr, was um mich herum geschieht und bemerke immer viele Details, die anderen Menschen nicht auffallen. Und in meinem Kopf herrscht ein ständiger Dialog von Gedanken.

Dieses Hintergrundrauschen begleitet mich 24/7 und verbraucht immer einen Teil meiner Energie. Ich wünsche mir oft, dass ich es einfach abschalten könnte, dies geht aber leider nur selten.

Stimming

Als Stimming bezeichnet man selbststimulierendes (oft repetitives) Verhalten. Dies trägt zur Selbstregulation bei. Es hilft, wenn man zu vielen Eindrücken ausgesetzt ist, dabei bei sich selbst zu bleiben. Auch dies ist etwas, was ich mir schon früh abtrainiert habe und jetzt langsam wieder zulasse. 

Rauchen ist für mich Stimming. Gerade soziale Interaktionen und Gespräche fallen mir massiv leichter, wenn ich Rauchen kann. Ich habe dann etwas, womit meine Hände beschäftigt sind und auf das ich immer wieder schauen kann, ohne dass es auffällt. Aber auch beim Schreiben solcher Texte hilft es mir sehr, mich zu fokussieren.

In Situationen wo ich nicht rauchen kann, habe ich immer einen Nifelring an, an dem ich unauffällig rumspielen kann. Sonst spiele ich viel an meinen Haaren rum und als ich noch aktive Schuppenflechte hatte, hab ich da auch immer dran rumgemacht. Genauso wie ich immer an meinen Lippen rumzupfe oder in ein Kauspielzeug beisse. 

Je mehr ich Stimming zulasse, desto mehr zeigt es sich, so habe ich mich zum Beispiel letztens an einem Stammtisch dabei erwischt, wie ich von einem Fuss auf den anderen getäppelt bin. Früher hätte ich das unterbunden, jetzt beobachte ich es und stelle fest, dass es mir hilft, die Flut der vielen Gespräche um mich zu regulieren. Auch Malen ist für mich eine Art Stimming, die Farben und Beschaffenheit des Untergrundes sowie die Pinselbewegungen stimulieren mich und helfen mir dabei, Dinge zu verarbeiten.

Vorhersehbarkeit

Je mehr ich einfach Ich bin, desto mehr habe ich gemerkt, wie wichtig mir Vorhersehbarkeit und die Möglichkeit, mich auf Dinge vorzubereiten ist. Ein grosser Aspekt beim Funktionieren und Maskieren ist bei mir das Overthinking. Ich zerdenke alles so sehr, dass ich auf alle Möglichkeiten vorbereitet bin und entsprechend darauf reagieren kann. Je mehr ich im Moment bin, desto ungefilterter und durchlässiger bin ich. Desto mehr können mich Überraschungen aus der Bahn werfen. Und sei es nur ein plötzliches lautes Geräusch. Wenn ich auf das Geräusch vorbereitet bin, wenn ich weiss, dass es kommt, erschrecke ich weniger und mein Körper sendet keine Stresshormone aus. 

Ich bin mir bewusst, dass unvorhersehbare Dinge unvermeidlich sind, aber es gibt auch viele Dinge im alltäglichen Leben, die man ankünden kann. Wenn man etwas Lautes einschaltet, wenn man mich berührt, wenn man das Licht verändert, was es zu essen gibt… Dies sind kleine Dinge, aber sie machen für mich wahnsinnig viel aus. Sie geben mir die Möglichkeit, mich vorzubereiten und zu schützen, ich kann mir z.B. die Ohren zuhalten, die Augen schliessen, die Berührung ablehnen oder etwas eigenes zum Essen mitnehmen. Je vorhersehbarer etwas ist, desto besser kann ich mich vor einem Overload schützen, weil ich mir schon vorher überlegen kann, ob ich die Energie dafür habe und was mir helfen könnte mich zu regulieren. 

ÖV fahren ist für mich zum Beispiel immer sehr anstrengend wegen der vielen Reize und Unvorhersehbarkeiten. Je besser ich darauf vorbereitet bin, den Fahrplan kenne, weiss wie ich wo umsteigen muss, wie viele Menschen es um diese Zeit etwa hat, im Idealfall die Strecke schon kenne, desto weniger Energie kostet es mich. Eine simple Verspätung kann den Energieverbrauch verdoppeln, bei einem Ausfall sind wir schnell beim Vierfachen und wenn die Ersatzverbindung ein vollgestopfter Bus ist, der einen Zug ersetzt, ist der Tag für mich gelaufen. Wenn ich vorher weiss, dass ich eine solche Ersatzverbindung benutzen muss, brauche ich wohl immer noch dreimal so viel Energie wie ohne, aber bin danach wenigstens nicht ganz fertig.

Überraschungen sorgen bei mir für Stress und Überforderung. Egal ob ich sie positiv oder negativ wahrnehme. Und Überforderung führt in einen Overload. Und ein Overload führt zum Shutdown. Je weniger Überraschungen, desto besser. Wenige Überraschungen heisst viel Vorhersehbarkeit.

Zeitblind

So ein wunderschönes und treffendes Wort. Nein, ich habe nicht einfach ein schlechtes Zeitgefühl, ich bin Zeitblind. Ich kann weder gut abschätzen, wie lange eine Tätigkeit dauert, noch mich erinnern, wie lange etwas her ist. Und auch die Zukunft ist für mich sehr schwer fassbar. 

Wirklich fassbar ist für mich nur der Moment, in dem ich gerade bin. Manchmal, wenn ich am Abend ins Bett gehe und mich an den Morgen erinnere, habe ich das Gefühl, da ist eine Woche dazwischen vergangen. Und manchmal ist es Abend, und ich weiss nicht, wo der Tag geblieben ist. Manchmal schleichen die Sekunden und manchmal fallen Stunden bruchstückartig weg. Manchmal mache ich in einer Stunde wahnsinnig viele Dinge und manchmal kriege ich an einem ganzen Tag nichts gemacht. Dieses Manchmal ist nicht gemeint als “es passiert mir hin und wieder, dass…” sondern als “manchmal das eine, manchmal das andere”. 

Ich nehme Tageszeiten wahr, Lichtveränderungen. Die Uhrzeit wahrzunehmen habe ich mir antrainiert, genauso wie ich die Dauer von bestimmten Tätigkeiten gelernt habe. Wenn ich also sage, dass ich für eine Arbeit 10 Minuten brauche, dann kann ich das nur machen, weil ich mal dabei auf die Uhr geschaut und es mir gemerkt habe. Wenn ich die Entstehung von meinen Bildern filme, bin ich immer sehr erstaunt, wie wenig Zeit ich dafür brauche, es fühlt sich immer nach vielen schönen Stunden an, die ich daran gemalt habe, auch wenn es effektiv nur 2 sind. Schon oft habe ich jemandem gesagt, dass ich in 10-20min mit etwas fertig bin und dann waren es entweder 5min oder eine Stunde.

Nun zur Langzeitwahrnehmung. Dinge, die in den letzten 6 Monaten geschehen sind, kann ich meist einigermassen einordnen, alles andere ist einfach Vergangenheit. Oft kann ich die Jahreszeit benennen, in der etwas geschehen ist, aber um zu wissen, ob es jetzt 3 oder 7 Jahre her ist, muss ich aktiv rechnen (was ich dann anhand meiner Beziehungen mache).

Genauso ist es mit der Zukunft, diese ist für mich nicht greifbar. Ich kann wichtige Dinge wie Arzttermine über einige Monate planen, die sind dann einfach in der Agenda. Aber Verabredungen, Dinge die ich aus Spass für mich mache, kann ich immer nur etwa einen Monat im Voraus planen, Ferien etwas länger. Wer weiss schon, was danach ist?

Samefood

Ich esse gern immer wieder dasselbe. Und da Essen (wegen der vielen unterschiedlichen Reize) für mich sowieso oft schwierig und mit Stress verbunden ist, probiere ich nur ungern neue Sachen aus. Wenn ich vorher schon genau weiss, wie mein Essen schmecken wird, ist es viel stressfreier. So esse ich oft tagelang genau das gleiche, auf die genau gleiche Art zubereitet. Immer dasselbe zu essen ist vorhersehbar, es sind Routinen. Und diese geben mir Sicherheit. 

Es ist auch ganz schlimm für mich, wenn ich ein bestimmtes Essen erwarte und dann ein Detail davon anders ist, zum Beispiel ein Gewürz beigemischt wurde, dass da nichts zu suchen hat. Früher dachte ich, ich sei einfach kompliziert, heute weiss ich, dass es für mich wegen der intensiveren Reizwahrnehmung sehr herausfordernd ist, etwas in den Mund zu nehmen, von dem ich nicht weiss, ob ich es mag.

Safefood

Das Wort “Safefood” hat mich tief getroffen, weil ich es intuitiv verstanden habe und mich verstanden fühlte. 

Essen war für mich schon immer ein schwieriges Thema, einerseits habe ich viele Dinge wegen Geschmack oder Konsistenz nicht gern, andererseits fällt es mir schwer, unter Menschen zu essen, das löst bei mir immer viel Stress aus. Dies kann so weit gehen, dass ich fast Panikattacken bekomme, wenn ich mit jemandem Essen gehen muss oder jemand für mich kocht, den ich nicht sehr gut kenne.

Ich teile Essen (vor allem wenn ich Stress habe oder Reizüberflutet bin) in “geht” oder “geht nicht” ein. Diese Einteilung hat nichts mit “habe ich Lust drauf” zu tun, sondern widerspiegelt das Gefühl, dass wirklich nur das geht und mir von allem anderen schlecht werden würde. So habe ich auch einige Lebensmittel, welche ich als “geht fast immer” einstufe und darum immer zuhause haben muss. Diese Lebensmittel sind Safefood für mich, sicheres Essen. Auch wenn ich eigentlich zu überfordert zum Essen bin, kriege ich vielleicht ein bisschen davon in mich rein. Und das ist immerhin besser, als nichts zu essen.