Wrong Planet Syndrom

Ich fühle das Wort so sehr… Es beschreibt das Gefühl, nicht dazuzugehören, anders zu sein, anders zu funktionieren, von einem anderen Planeten zu kommen. 

Dieses Gefühl begleitet mich schon mein ganzes Leben. Als Kind hatte ich das Gefühl, adoptiert zu sein, auch wenn ich wusste, dass ich es nicht bin. Ich war in der Pfadi und habe ministriert, bei beidem war ich aber immer mehr am Rand, ich fühlte mich nie wirklich Teil der Gruppe. Nachdem ich mit 16 ins Heim kam, war ich sowieso aus der Gesellschaft “ausgeschlossen”. 

Auch später in der Lehre und bei der Arbeit kam ich zwar immer gut mit allen aus, habe aber auch nie wirklich dazugehört. 

Inzwischen habe ich mir ein Netz aus Menschen geschaffen, bei denen ich mich zugehörig fühle, bei denen ich mich richtig fühle. Aber auf der Welt, in der Gesellschaft, da fühle ich mich nicht zugehörig. Mit der Diagnose kam dann die Bestätigung, dass ich eben wirklich etwas anders bin als die Mehrheit, und das ist unglaublich erleichternd. Und ja, ein Grossteil der Menschen, mit denen ich mich umgebe, ist auch neurodivergent.

Textflut

Immer wieder, wenn ich intensive Dinge mit Menschen erlebt habe, überfällt mich im Verarbeitungsprozess der Wunsch, meine Gedanken und Gefühle schriftlich festzuhalten und mit den betreffenden Menschen zu teilen. Dabei ist es völlig irrelevant, ob es um ein wunderbares, intensives Spiel oder um eine Unstimmigkeit geht. Ich habe dann ein starkes Bedürfnis, sicherzustellen, dass der betreffende Mensch weiss und versteht, wie es mir in dem Moment gegangen ist oder im Nachhinein geht. Dann entstehen Textfluten. Dies sind meist emotionale Fliesstexte, die ich unkorrigiert abschicke und von denen mir gesagt wurde, dass sie für einige Menschen überfordernd sein können. Es ist eine Art Oversharing, die ich keinesfalls unterdrücken will. Für mich ist es in engen Beziehungen essentiell, dass ich weiss, dass solche Textfluten willkommen sind. 

Oft brauche ich etwas länger, um Dinge zu verarbeiten und für mich greifbar zu machen. Zudem ist schriftliche Kommunikation für mich oft einfacher als verbale. Bei allen engen Beziehungen, die ich geführt habe, stand am Anfang ein intensiver, schriftlicher Austausch, der mir gezeigt hat, dass diese Art der Kommunikation funktioniert. Wenn dies nicht gegeben ist, fehlt mir ein wichtiges Werkzeug, um mich meinem Gegenüber verständlich zu machen.

Deep Talk

Tiefe Gespräche. Hier bin ich voll dabei. Vorausgesetzt, mein Gegenüber oder das Thema interessieren mich. Mit dieser Art Gespräche baue ich Verbindung auf, hier fühle ich mich zuhause. Wenn mir jemand erzählt, was ihn gerade stark beschäftigt, was ihn begeistert. Das empfinde ich als authentisch, da lasse ich mich mitreissen, werde lebendig und fokussiert. Da stelle ich gern viele Fragen, um sicher zu sein, dass ich alles richtig verstanden habe und breche in Redeflüsse aus, um mich verständlich zu machen. 

Hier passiert es mir zwar immer mal wieder, dass mein Ton nicht mit meiner Intention zusammenpasst, aber inzwischen merke ich das meistens und kann es dann kommunizieren, um Missverständnissen vorzubeugen. Manchmal verliere ich auch mitten im Satz den Faden oder nehme 100 Abschweifungen und vergesse, wo ich angefangen habe. Und ich neige dazu, Menschen zu unterbrechen, um ein Detail zu klären, weil ich es sonst wieder vergesse und glaube, dass es wichtig ist. Solche Gespräche geben mir Energie, statt mir welche zu nehmen, ich liebe sie.

Small Talk

Small Talk, oder, der Vollständigkeit halber, kleine Gespräche, mag ich gar nicht. Ich bin mir bewusst, dass diese Art der Kommunikation vor allem bei neurotypischen Menschen dazu beiträgt, ein Gefühl der Verbundenheit herzustellen und das Gegenüber einzuschätzen. Bei mir bewirkt er aber genau das Gegenteil, ich fühle mich davon massiv überfordert, weil ich nie genau weiss, wie viel ich jetzt preisgeben kann, ohne mein Gegenüber zu überrumpeln. Weil ich immer unsicher bin, ob dieses “wie geht es dir?” von richtigem Interesse an mir zeugt oder einfach ein leichter Gesprächseinstieg ist. Ich weiss nicht, welche Fragen ich dabei stellen darf, ohne jemandem zu Nahe zu treten. Ich habe gelernt, mich halbwegs in Small Talk zurecht zu finden, meist läuft es aber darauf hinaus, dass nach ein paar nichtssagenden Sätzen ein peinliches Schweigen entsteht und ich nur noch flüchten will. Ich empfinde Small Talk als extrem anstrengend und versuche ihm, so gut es geht, aus dem Weg zu gehen.