1:2-3 Settings

Sind toll, wenn mindestens eines ein naher Lieblingsmensch ist, an dem ich mich festhalten kann. Und wenn ich zwar die Möglichkeit habe, mich einzubringen, dies aber nicht von mir erwartet wird. Wenn also die Anderen sich auch allein unterhalten können und ich dem einfach zuhören / zuschauen kann, ohne mich aktiv beteiligen zu müssen. Je nach Konstellation kann die Energiebilanz hier sowohl neutral als auch negativ sein.

1:1 Settings

Es gibt nur sehr wenige Menschen, bei denen ich mir aktiv 1:1 Settings wünsche und auch etwas dafür mache, dass sie stattfinden. Dies sind alles sehr nahe Lieblingsmenschen, bei denen ich mich auch wohlfühle, wenn die zusammen verbrachte Zeit unstrukturiert ist oder wir nebeneinander unterschiedliche Dinge machen. Bei ihnen fühle ich mich so sicher, dass ich nicht maskieren muss und sagen kann, wenn mich etwas stört. Dies führt dazu, dass die Energiebilanz des Treffens neutral oder sogar positiv ist.

Dann gibt es Menschen, bei denen ich mich zwar freue, wenn sie mich gelegentlich fragen, ob wir uns treffen oder mich zu Events einladen, ich aber meist nein sage(n muss), weil meine Energieplanung es nicht zulässt. Wenn ich doch mal zusage bin ich froh, wenn das Treffen inhaltlich und zeitlich strukturiert ist. Diese Treffen haben meistens eine negative Energiebilanz, auch wenn sie toll sind und ich sie geniesse.

Kommunikation

Kommunikation ist so eine Sache, da könnte ich sehr viel dazu schreiben, hier einfach mal sowas wie “Grundsatzregeln” im Umgang mit mir und ein paar Punkte, in denen ich erfahrungsgemäss von der Mehrheit abweichen und die deshalb oft zu Missverständnissen führen.

  • Am liebsten Text oder 1:1 Setting real / telefon.
  • Telefonate ankündigen, am Besten mich anrufen lassen.
  • Fragen nicht als etwas anderes als eine interessierte / neugierige /  informative Frage verstehen, kein Angriff, keine Diskussion, kein in-frage-stellen, nur der Wunsch, etwas richtig (und vertieft) zu verstehen.
  • Zeit lassen, gerade in reizintensiven Situationen brauche ich manchmal etwas länger Zeit, um nachzudenken, bevor ich etwas sage.
  • Nicht in die Augen schauen müssen und mich bewegen können helfen mir beim Zuhören & Denken.
  • Mich (neugierig) darauf ansprechen, wenn etwas, das ich mache irritierend ist
  • In Gruppensettings keine Kommunikation von mir erwarten, ich melde mich, wenn ich denke, etwas beitragen zu können, ansonsten geniesse ich die Unterhaltung, bin aber meist überfordert damit, mich zu beteiligen
  • Meine Körpersprache ist oft vom gewohnten abweichend, z.B. verschränkte Arme sind nicht abweisend, sondern helfen mir, mich zu spüren (oder mir ist kalt).
  • Ich brauche viel persönlichen Raum um mich, 1-1.5m Abstand empfinde ich als angenehm und angemessen.
  • Körperkontakt (insbesondere Hautkontakt) empfinde ich meistens als unangenehm, deshalb bitte kein Händeschütteln oder Umarmen (ausser ich biete es an).
  • Ich ignoriere niemanden absichtlich, wenn ich nicht auf dich reagiere, bin ich entweder mit anderem (gedanklich) beschäftigt, reizüberflutet oder überfordert. Versuch es einfach später nochmals.

Treffen

Treffen mit Menschen sind für mich immer anstrengend. Es gibt aber einige Dinge, die mir sehr helfen, mich auf ein Treffen vorzubereiten und einzulassen. Dies führt auch dazu, dass ich mich dann am Treffen besser auf die Menschen fokussieren kann und weniger mit den äusseren Gegebenheiten beschäftigt bin. 

  • Immer lieber draussen als drinnen
  • Treffen möglichst frühzeitig abmachen (sofern Energiemanagement voraussehbar)
  • Anfang und Ende definieren (kann auch variabel definiert sein)
  • Ankunftszeit (bei Treffen bei mir) möglichst früh mitteilen
  • Abfahrtszeit (bei Treffen bei mir) möglichst früh mitteilen
  • Plan kommunizieren
  • Über Eckpunkte, Möglichkeiten und Variablen informieren, wenn kein Plan existiert
  • Was macht man während des Treffens?
  • Wo ist man?
  • Wie kommt man dahin und wieder weg?
  • Wer ist noch dort?
  • Was ist die passende Kleidung?
  • Planänderungen kommunizieren (auch kleine und potentielle)

Stimming

Stimming, also selbstregulierendes Verhalten, ist etwas, das ich lange Zeit meines Lebens unterdrückt habe, um nicht aufzufallen. Inzwischen weiss ich es sehr zu schätzen, einerseits weil es mir eben sehr dabei hilft, mich zu regulieren, andererseits auch, weil ich (und andere) daran, wie ich stimme, ziemlich gut ablesen kann, wie mein Stresslevel gerade ist. Hierbei dünkt es mich wichtig zu erwähnen, dass ich oft dieselben Stimms für positiv und negativ wahrgenommene Situationen brauche. Eine Überreizung ist immer anstrengend und verlangt nach Regeneration, aber ich nehme sie nicht immer negativ wahr. Z.B. Wenn ich an eine BDSM-Party gehe, ist die Überreizung vorprogrammiert, aber wenn ich die Party geniesse, empfinde ich es als positiv und es gibt mir auch sehr viel. Und auch noch wichtig, manchmal benutze ich meine Lieblingsmenschen -beziehungsweise deren Haare- um zu stimmen, dies ist dann als Liebesbeweis zu verstehen…

  • Haare kämmen = beruhigend, hilft beim runterkommen
  • Körper reiben = Regulation von Reizen im Moment, hilft beim Denken
  • Wippen = Regulation von Reizen / Emotionen im Moment / nachträglich, hilft gegen Lärm im Kopf
  • Summen = Regulation von Überreizung im Moment / nachträglich, hilft gegen Lärm im Kopf
  • Hände flattern = Aufgeregt / Überfordert 
  • Stämpfeln = Überfordert durch Reize / Emotionen
  • Lippen zupfen = Situation eher unangenehm / überfordernd
  • Rumlaufen = genervt / gereizt / rastlos, hilft beim Denken
  • Nuggi = völlige Überreizung, nicht mehr reden (Alternative: Nagel knabbern)

Planungsregeln

Eines der grössten Themen, die mich in den letzten Jahren begleitet haben, war mein Zeit- und Energiemanagement. Wobei es eigentlich nur ein Energiemanagement ist. Wenn ich Sachen plane, stelle ich mir nicht die Frage, ob ich Zeit dafür habe, sondern, ob ich die Energie dafür habe und wie viel Regenerationszeit mit etwas verbunden ist. Ich habe quasi eine Kostenanalyse durchgeführt und diese danach in anwendbare Regeln übertragen. Diese Regeln helfen mir sehr in der Planung, schränken mich aber natürlich auch ein. Ich muss auf viele Dinge, die ich gern machen würde, verzichten, weil die Kosten dafür einfach zu gross sind. Klare Richtlinien in der Planung helfen mir sehr dabei, mich nicht zu überlasten. Diese Regeln sind aktuell das absolute Maximum und immer, wenn ich mich nicht daran halte (weil noch ein zusätzlicher Termin reinkommt oder ich irgendetwas unbedingt machen will), bereue ich das im Nachhinein.

Damit ihr euch ein besseres Bild machen könnt hier meine Planungsregeln:

  • mindestens 4 Nächte pro Woche allein schlafen
  • maximal 1 Sozialevent pro Tag / 2 pro Woche
  • maximal 1 Termin pro Tag / 2 pro Woche
  • gesamt maximal 3-4 Sozialevents und Termine pro Woche
  • maximal 2 Termine / Sozialevents nacheinander ohne leeren Pausentag
  • maximal 1,5 grosse Sozialevents pro Monat (besser 1)
  • um grosse Sozialevents je 2 leere Tage vorher und nachher
  • mindestens 1 leeres Wochenende pro Monat
  • bei Ferien je 3-5 leere Tage vorher und nachher

Sozialevent = Treffen mit 1-3 Menschen in ruhigem Rahmen
Termin = Arzt, Therapie oder Behörden
Grosser Sozialevent = Treffen mit mehr als 3 Menschen (oder unter vielen Menschen sein, z.B. Party, Jam, Stammtisch, Marktbesuch)
leer = wirklich gar nichts geplant, mein Haus nicht verlassen müssen

Wem jetzt auffällt, dass hier noch gar keine Arbeit berücksichtigt ist, hat damit vollkommen recht. Dies kommt daher, dass ich seit Juni mit autistischem Burnout krankgeschrieben bin und die Regeln meine aktuelle Lebensrealität widerspiegeln. Sobald ich wieder beginne zu arbeiten, werden da noch mehr Regeln dazukommen, die das auch berücksichtigen.

Eine Bedienungsanleitung

Es ist nun schon ein Jahr her, seit ich meine Autismus Diagnose habe, in dieser Zeit ist viel passiert und vor allem habe ich viel über mich selbst gelernt. Vieles, was ich früher nicht verstanden habe, verstehe ich jetzt. In diesem Prozess ist auch eine Bedienungsanleitung für mich entstanden. Teile davon sind wirklich nur für mich wichtig, andere auch für Menschen, welche mit mir zu tun haben. Teile dieser Bedienungsanleitung möchte ich gerne mit euch teilen. Einerseits weil mir hier Menschen folgen, die ich sporadisch treffe, aber doch nicht so gut kenne, dass es angebracht wäre, ihnen die Anleitung direkt zu schicken, andererseits auch einfach um meine Realität und Funktionsweise aufzuzeigen und damit vielleicht etwas mehr Verständnis zu schaffen.