Masking / Maskieren

Ein Begriff, den ich zutiefst fühle. Gerade wenn ich mich Stresssituationen (im positiven wie negativen, selbstgewählt sowie von der Gesellschaft aufgezwungen) aussetze und vorher genügend Zeit habe, ist mein Äusseres ein starkes Schutzschild für mich. Oft drückt sich das in Kleidern und Schminke aus. Es ist in gewissem Masse eine Maske, die ausdrückt, wie ich gern wahrgenommen werden möchte. Einen Teil von mir stärker hervorhebt oder einen anderen in den Hintergrund drängt. Es ist kein Verkleiden, es ist eher eine Rüstung.

Ich habe mal folgenden Satz in mein Tagebuch geschrieben: “Wie ich bin, stimmt nicht mit dem überein, was ich glaube, sein zu müssen, um auf dieser Welt nicht kaputt zu gehen.”

Ein anderes Wort, welches mich in dem Zusammenhang sehr berührt hat, ist “Anpassungsleistung”. Wenn ich unter Menschen bin, passe ich mich an, verhalte mich so, wie ich denke, dass es von mir erwartet wird. Dies mache ich vorwiegend aus Selbstschutz, dennoch ist es etwas, was sehr viel Energie kostet und im schlimmsten Fall zu einem Overload mit Shutdown oder einem autistischen Burnout führen kann. 

Rückblickend denke ich, dass ich schon als Kind sehr gut beobachtet habe, welches Verhalten welche Reaktionen hervorruft. Und weil ich nie “negativ” auffallen wollte, habe ich mir dann besagte Verhaltensmuster einfach versagt oder angeeignet. Seit ich mir dessen bewusst bin, versuche ich das Maskieren nur noch möglichst wenig und vor allem gezielt einzusetzen.

Hochfunktional

Schon bevor ich mich mit Autismus beschäftigt habe, habe ich -vor allem in Stresssituationen- oft gesagt, dass ich “funktioniere”. Funktionieren ist nun aber nicht Leben. Ein toller Satz, über den ich während meiner Recherchen gestolpert bin und den ich sehr fühle, ist: “Frag mich nicht, ob ich es kann, frag mich, was es mich kostet.” Also ja, ich habe die kognitiven Fähigkeiten, mich anzupassen, mich irgendwie in dieser Welt zurechtzufinden, zu funktionieren, wie es vom System vorgesehen ist. Aber es ist sehr anstrengend, vor allem wenn ich es ständig machen muss. Und es ist nur mein Äusseres, das dann funktioniert, mein Inneres ist dann entweder komplett überfordert oder schon längst abgeschaltet. 

Es ist ein Prozess, ein Herausfinden, wo und wann es wichtig ist, dass ich funktioniere und wo ich einfach sein kann, wie ich bin. Denn wenn ich gar nicht mehr funktioniere, werde ich sehr abhängig und dafür ist mir meine Autonomie viel zu wichtig.

Reizfilterschwäche

Hier geht es darum, dass das Hirn nicht automatisch filtert, welcher Reiz gerade wichtig ist. Es prasseln einfach alle Reize gleichzeitig auf einen ein und man muss sie quasi manuell in wichtig und unwichtig sortieren. Dabei verschwinden die unwichtigen Reize nicht einfach, sondern sind nach wie vor präsent und es braucht einen Teil der Konzentration, sie nicht zu beachten. Jeder neue Reiz wird vom Gerin als der gerade Wichtigste wahrgenommen, was auch dazu führt, dass man schnell ablenkbar ist. 

Auch hier gibt es Strategien, die helfen können, in meinem Atelier habe ich extra undurchsichtige Vorhänge, damit mich Spaziergänger oder Vögel nicht ablenken können.

Hochsensibilität

Hochsensibilität trifft auf etwa 15-20% der Menschen zu und kann auch ein Merkmal von Autismus sein. Dabei geht es auch um die neurologische Funktionsweise, Hochsensibilität ist also für sich allein genommen schon eine Neurodivergenz und kommt vermehrt mit anderen Neurodivergenzen gepaart vor. Oft lese ich davon, dass spät diagnostizierte Menschen über die Hochsensibilität zum Autismus finden und so war es auch bei mir. 

Es bedeutet, dass man sensibler für verschiedene Eindrücke ist und auch mehr wahrnimmt. So kann man taktil, visuell, olfaktorisch oder akustisch hochsensibel sein. Es werden alle Reize gleich stark wahrgenommen, egal ob sie wichtig sind oder nicht. Zudem sind hochsensible Menschen auch oft empfindlicher auf Stimmungen und nehmen Emotionen sehr intensiv wahr. 

Hochsensibilität hier annähernd vollständig zu erklären, würde den Rahmen sprengen, jedoch ist es mir wichtig zu erwähnen, weil leider immer noch das Vorurteil besteht, dass autistische Menschen eher wenig sensibel und empathisch sind. 

Einige Beispiele für meine Hochsensibilität: Ich muss aus allen Kleidern die Etiketten rausschneiden, weil sie mich sonst ständig jucken. Das Licht in Geschäften ist für mich oft unangenehm hell. Wenn ich in einer Bar sitze, muss ich mich aktiv konzentrieren, um nicht allen Gesprächen in meiner Umgebung zuzuhören. Musikboxen haben zu wenige Lautstärkestufen im leisen Bereich. Wenn Menschen, die ich gut kenne, irgendwas beschäftigt, merke ich das. Ein unangenehmer Duft kann mich in den Wahnsinn treiben und ein gutes Dessert kann mich fast in Extase bringen.

Oversharing

In Deutsch “übermässiges Teilen”

Damit ist ein übermässiges Bedürfnis, sich mitzuteilen, gemeint. Es wird -vor allem von neurotypischen Menschen- meist als “zu viel Information” wahrgenommen. Als Beispiel könnte man hier jemanden nehmen, der auf die Small-Talk-Frage “Wie geht es dir?” beginnt, ausführlich von seinen privaten Problemen zu erzählen. Oder jemanden, der jede Kleinigkeit aus seinem Leben auf Social-Media teilt. 

Ich persönlich mag es sehr, wenn Menschen das machen, solange ich die Möglichkeit habe, mich zu melden, wenn ich nicht (mehr) aufnahmefähig bin. Und vor allem wenn es mir gut geht, neige ich auch dazu, dies in die Welt hinaus zu schreien. Genauso wie ich in Gesprächen -wenn ich mich genug sicher fühle- dazu neige, vom hundertsten ins tausendste zu kommen und mich im Detail mitzuteilen.

Overthinking

Die deutsche Übersetzung dafür ist “Überdenken”, ich finde dies aber nicht ganz so passend. Overthinking beschreibt das Phänomen des “zu viel Denken”. Wie im Beitrag zum Wort Autismus schon angedeutet, ist mein Kopf ständig beschäftigt, da läuft ein stetiger innerer Dialog. 

Ich habe meine Denkprozesse mal so beschrieben: In meinem Hirn hat es einen alten PC, den ich PC-Boy genannt habe und den niemand kontrollieren kann. Dieser PC ist ständig damit beschäftigt, alle mir bekannten Faktoren zu analysieren und zu schauen, was daraus für Möglichkeiten entstehen. Dazu nimmt er noch mögliche unbekannte Faktoren, Vermutungen, Annahmen, Wahrscheinlichkeiten, Zufälle, was dann wiederum noch mehr Möglichkeiten zum Analysieren ergibt. Daraus filtert er an guten Tagen die Wahrscheinlichkeiten, auf die ich mich vorbereite, und an schlechten Tagen läuft er in Kreisen oder Spiralen unendlich weiter, bis er überhitzt.

Autismus

Das Wort Autismus leitet sich von den griechischen Worten “autos” (selbst) und “ismos” (Zustand, Ort) ab. Man könnte es auch als “in sich selbst versunken” übersetzen. Damit ist ein “Leben in einer eigenen Gedanken- und Vorstellungswelt” gemeint. Natürlich könnte man es auch als “selbstbezogen” interpretieren.

Für mich fühlt sich diese Definition als sehr stimmig an. Seit ich denken kann, bin ich gern allein und kann mich komplett in irgendwelchen Gedankenkonstrukten und Phantasien verlieren. Als ich noch ein Kind war, wurde dieses Verhalten oft als “Tagträumen” bezeichnet. 

Auch heute noch hänge ich oft Phantasien nach, spiele verschiedene Situationen in unzähligen Möglichkeiten und Ausprägungen in meinem Kopf durch und erlebe diese Gedankenkonstrukte oft als sehr real. Dies hat natürlich angenehme und unangenehme Auswirkungen, je nachdem, um was für Gedanken es sich gerade handelt. Wenn ich mich zum Beispiel auf eine Party freue und mir alle möglichen Spielvarianten ausdenke, hilft mir das sehr, in die richtige Stimmung zu kommen, völlig egal, ob diese Spiele dann auch stattfinden – ich habe sie ja im Kopf schon erlebt. Wenn ich hingegen mit einem Konflikt konfrontiert bin, den ich gerade nicht lösen kann spielen sich in meinem Kopf alle möglichen Konsequenzen davon ab und auch wenn dann der Punkt kommt, an dem der Konflikt gelöst werden kann, benötigt mein Nervensystem einige Zeit um sich wieder den realen Gegebenheiten anzupassen.

Ich (er)lebe also sehr viel nur in meinem Kopf, bin in mir und meine Gedanken versunken und fühle mich dort meist sehr wohl.

Die Bedeutung des Wortes “Autismus” hat mir sehr dabei geholfen, dies als Teil von mir zu verstehen und anzunehmen. Natürlich gehört zur Diagnose Autismus noch mehr als das, aber hier geht es mir gerade vorwiegend um die Wortbedeutung.

Neurotypisch – Neurodivergent – Neurodivers

Diese Worte beziehen sich auf die neurologische Funktionsweise des Gehirns.

Mit neurotypisch bezeichnet man die Norm, also Menschen mit  neurologischen Funktionen, wie sie die grosse Mehrheit der Gesellschaft hat. 

Neurodivergent beschreibt eine Abweichung von der typischen neurologischen Funktionsweise, also zum Beispiel hochsensible Menschen, solche mit Autismus, ADHS oder anderem.

Neurodivers verweist darauf, dass Menschen unterschiedlich funktionieren. Eine Gruppe mit Menschen verschiedener Funktionsweisen (z.B. ein Autisty, ein ADHSy und ein neurotypischer Mensch) ist demnach eine neurodiverse Gruppe. Eine Gruppe aus nur Autistys ist zwar neurodivergent, aber streng genommen nicht neurodivers. 

In der Praxis werden die Begriffe neurodivers und neurodivergent oft synonym verwendet.

Wortklaubereien

Wörter sind mir sehr wichtig. Mit Wörtern können wir kommunizieren und mit Kommunikation können wir Verständnis schaffen. Verständnis wiederum ist für mich der Schlüssel zu fast allem, nur wenn ich jemanden oder etwas verstehe, kann ich darauf eingehen. 

Während meiner Auseinandersetzung mit Autismus (welche noch lange nicht abgeschlossen ist) bin ich auf eine Reihe von ganz wunderbaren Worten gestossen, die mir Dinge erklärt haben und mich sie so verstehen liessen. Einige dieser Worte möchte ich gern mit euch teilen. 

Es ist mir wichtig, dabei zu erwähnen, dass ich keine Fachperson bin und die Begriffe so erkläre, wie ich sie verstehe und interpretiere, wie sich die Dinge bei mir äussern. Ich möchte dabei keinesfalls unterstellen, dass sie für alle Autisten dieselbe Bedeutung haben wie für mich oder dass man autistisch ist, wenn man sich darin wiedererkennt.

Zudem werde ich auch auf einige Wörter eingehen, die für mich etwas ganz bestimmtes bedeuten, das nicht immer der offiziellen Wortdefinition entspricht.