Warum ich nicht Politisch bin und trotzdem solche Texte schreibe

Ich bin nicht politisch, ich bin nur ein introvertierter Freigeist mit einem Hang dazu, Dinge zu durchdenken und mit einem gewissen Mitteilungsbedürfnis.
Politik forciert Veränderung. Ich will diese Veränderung nicht forcieren, sondern meine persönlichen Ideale bestmöglich leben. Um dies zu tun, muss ich viel hinterfragen und mich damit auseinandersetzen.

Die Welt ist unfair. In ganz vielen verschiedenen Facetten. Das ist so und wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Einige Arten der Ungerechtigkeit betreffen mich als Person direkt, andere betreffen mich als Teil einer Personengruppe. Wieder andere betreffen mich gar nicht. Mit letzteren mag ich mich nicht beschäftigen, dafür ist mir meine Energie zu wertvoll. Bei den anderen Beiden verfolge ich etwa dieselbe Strategie. Ich stelle mir zwei Fragen:

  • Kann ich etwas daran ändern?
  • Gibt es Alternativen?

Bei beiden Fragen spielt auch der Energieaufwand eine Rolle. 

Beispiel anhand von Menstruationsprodukten

Nun, ich bin eine Frau, somit Teil einer sogenannten benachteiligten Gruppe. Dem stimme ich vollkommen zu. Es ist nicht fair, dass ein Teil der Hälfte der Menschheit jeden Monat Schmerzen hat. Es ist auch nicht fair, dass dem lange Zeit keine wissenschaftliche Beachtung geschenkt wurde und es auch heute oft immer noch nicht ernst genommen wird. Das erwartet wird, dass man trotz der teilweise höllischen Schmerzen ganz normal arbeitet. Und natürlich ist es auch nicht fair, dass Menstruationsprodukte nicht als Grundbedarfsartikel gelten und deshalb höher besteuert werden.

Kann ich etwas daran ändern? 

Natürlich gäbe es Wege, um dagegen anzugehen.Ich könnte Medizin studieren und mich ganz der Erforschung dieses Gebiets widmen. Vielleicht könnte ich auch eine medizinisch versierte Person überzeugen, dies zu machen. Vielleicht könnte ich Investoren dazu bringen, diese Forschung zu finanzieren. Vielleicht könnte ich Aufklärungsarbeit betreiben. Vielleicht könnte ich politisch gegen die Steuer vorgehen. Für alles, was zu einer Veränderung führt, müsste ich aber sehr viel Energieaufwand betreiben und es gäbe trotzdem keine Garantie, dass es funktioniert.
Realistisch betrachtet ist die Antwort also: Nein, ich kann nichts daran ändern. So wichtig ist mir das Thema nicht, mir ist nur wichtig, wie es meinen Alltag beeinflusst. Und das einzige, worauf ich Einfluss habe, ist die Art, wie ich mit diesen Schmerzen umgehe, unabhängig davon, ob sie fair sind oder nicht.

Gibt es Alternativen? 

Ja. Ich kann mich selbst informieren. Denn zum Glück gibt es bereits die Menschen, denen das Thema so wichtig war, dass sie viel Energie darin investiert haben. Ich kann diverse Mittelchen und Medizinprodukte ausprobieren, um etwas gegen die Schmerzen zu tun. Ich kann in eine andere gynäkologische Praxis wechseln, wenn ich nicht ernst genommen werde. Ich kann mich über alternative Menstruationsprodukte informieren. Wie intensiv ich mich jetzt über diese Alternativen informiere, hängt stark davon ab, wie wichtig mir das Thema im alltäglichen Leben ist. 

Selbstfürsorge, keine Politik

Ich will ehrlich sein, ich habe mich nicht wegen irgendeinem der obigen Gründe mit Alternativprodukten zu Binden und Tampons umgeschaut, sondern weil ich mit diesen Produkten nicht zufrieden war. Während meiner Mens geht es mir eh nicht so besonders gut. Daher ist alles wertvoll, was dazu beiträgt, dass es mir besser geht. Deshalb habe ich einiges an Zeit investiert, um mich über Schwämmchen, Menstassen und Mensunterwäsche zu informieren und das für mich Beste zu finden. Und ich habe mir von meiner Gynäkoligin diverse Medikamente verschreiben lassen bis ich mit einem zufrieden war.

Natürlich liese sich das alles wunderbar politisieren. Sei es für den Feminismus wie auch umweltpolitisch. Und diese politischen Ansätze sind absolut valide.
Aber um beim Alltag zu bleiben, wenn es dich so fest stört, dass die herkömmlichen Produkte unfair versteuert sind, dann kauf sie nicht. Es gibt Alternativen. Dass die Wiederverwendbarkeit und Langlebigkeit meiner Menstruationsunterwäsche unserer Umwelt hilft ist toll, aber vor allem muss ich weniger Abfall rausbringen und habe dadurch mehr Zeit für Schöneres. Das ist kein politischer Akt, das ist Leben nach den eigenen Idealen. 

Wünsche und Entscheidungen

Ja, ich wünsche mir eine Welt, in der alle gleichberechtigt sind. In der es keine Vorurteile gibt und in der alle so leben können, wie sie es wollen. In der alle genug zu Essen haben und niemand verletzt wird. 

Es gibt ganz viele Dinge, die es wert sind, dafür zu kämpfen. Dennoch habe ich mich gegen diese Kämpfe entschieden. Ich habe mich dagegen entschieden, Nachrichten zu konsumieren. Ich weiss, dass ganz viel Scheisse auf dieser Welt geschieht, sei es diejenige, die man in den Medien mitbekommt oder diejenige, über welche niemand spricht. Kleine Scheisse und grosse Scheisse. Das Leben ist nicht fair und die Welt auch nicht. Ich habe mich dagegen entschieden, mich mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt zu beschäftigen. Weil sie mich traurig machen und weil sie mir Energie nehmen, die ich lieber für anderes benutze.

Damit habe ich mich für mich entschieden. Ich habe mich dazu entschieden, das Beste aus meinem Leben zu machen und es zu geniessen, so gut ich kann. Ja, ich gehe abstimmen und wählen. Ja, ich achte darauf, nicht bei bösen Firmen einzukaufen und umweltfreundliche Produkte zu benutzen. 
Aber ich mache all das in erster Linie, weil es sich für mich richtig anfühlt und nicht, weil es politisch korrekt ist. Und ich weiss, dass ich nicht perfekt bin. Weil dies zu anstrengend wäre. Weil es mich so viel Energie kosten würde, dass ich keine mehr fürs geniessen hätte. 

Ja, ich hinterfrage Dinge und ich bin mit vielem nicht einverstanden, was die Gesellschaft als “normal” empfindet. Aber ich sehe es nicht als meine Aufgabe, die Gesellschaft zu verändern. Ich sehe es als meine Aufgabe, das Leben zu führen, das meinen Idealen am Besten entspricht. In der Gesellschaft, in welcher ich mich befinde. Zumindest solange ich mich nicht dazu entscheide, auszusteigen.
Mich interessiert wenig, was ich machen kann, um die Gesellschaft zu ändern. Mich interessiert mehr, was ich machen kann, um meinen Vorstellungen nach zu leben. Ich unterhalte mich gerne darüber, was ich im Alltag machen kann, um auf dieser Welt möglichst wenig Schaden anzurichten. Weniger spannend finde ich Diskussionen darüber, was geschehen müsste, damit die ganze Gesellschaft weniger Schaden anrichtet. Denn darauf habe ich keinen Einfluss. 

Vielleicht kommt irgendwann der Punkt, an dem die Gesellschaft fairer wird. Vielleicht folgt dem eine faire Welt. Vielleicht werden Mensschmerzen irgendwann evolutionär verschwunden sein. Oder alle, die nicht an ihnen leiden, etwas ähnliches entwickeln. Auch wenn ich ersteres bevorzugen würde, könnte beides als Fair bezeichnet werden. 

Dankbarkeit und Privilegien

Ich bin in der privilegierten Situation, nicht kämpfen zu müssen. Ich muss nur wenige Kompromisse machen, um in der Gesellschaft abgesichert zu sein, ohne mich ihr zu sehr anpassen zu müssen. Ich habe schon früh nicht in diese Gesellschaft gepasst und deshalb auch früh gelernt, Dinge zu hinterfragen. Nur weil die Mehrheit etwas als “richtig” empfindet, heisst das nicht, dass es für mich richtig sein muss. Nur weil es für mich nicht richtig ist, muss ich nicht gegen die Gesellschaft kämpfen. Zumindest solange es Alternativen gibt.

Ja, es braucht Menschen, die diese Kämpfe aufnehmen und ich bin ihnen unendlich dankbar. Ich bin sehr froh, dass es Menschen gibt, die sich engagieren. Die sich in einem grösseren Rahmen mit all den Themen beschäftigen, die auch für mich wichtig sind. Menschen, die aufstehen und laut sind.
Ich bin eher der leise Typ. Ich lebe so, wie es sich für mich richtig anfühlt. Ohne viel aufheben um die “Andersartigkeit” zu machen. Vielleicht trage ich mit diesem Vorleben dazu bei, dass auch andere Menschen beginnen, Dinge zu hinterfragen und zu verändern, wenn sie merken, dass es für sie so nicht stimmt. Wenn dem so ist, freue ich mich natürlich, aber ich muss es nicht forcieren. 

Warum schreibe ich dann?

Nun, ich bevorzuge ein zurückgezogenes Leben. Ich habe einige wenige gute Freunde, die ich eher selten als ständig sehe. Ich bin gern und viel allein. Ich habe ein sehr aktives Gedankenleben. Ich durchdenke Themen, welche mich persönlich betreffen und einen Einfluss auf meinen Alltag haben, sehr ausführlich und beschäftige mich intensiv damit.
Ich tausche mich auch gern über diese Themen aus. Da ich aber relativ wenig Zeit mit Menschen verbringe, ist eher selten jemand mit Interesse für das aktuelle Thema verfügbar. Und wenn ich dadurch das Thema nicht durchdiskutieren kann, schreibe ich es nieder, um die Gedanken greifbarer zu machen. Und wenn der Text dann fertig ist, nun ja, ich bin gern allein, ich teile mich aber auch gern mit. Das Internet ist hier ein sehr dankbares Medium. Ich kann mich mitteilen, ohne jemanden suchen zu müssen, der mit mir darüber sprechen mag. Ich kann mich mitteilen, ohne das Thema jemandem aufzudrängen, es kann ja jeder aufhören zu lesen. 

Wenn du immer noch liest, wird es dich auf irgendeiner Ebene interessieren. Und das freut mich, egal ob ich davon weiss oder nicht. Aber ich muss schon zugeben, dass ich mich immer wie ein kleines Kind freue, wenn mir jemand sagt, dass die Lektüre meiner Texte etwas ausgelöst hat. Es gibt mir Bestätigung, dass meine Gedanken nicht ganz aus der Luft gegriffen sind.
Ich habe den Text vorrangig für mich geschrieben, schön, wenn du auch etwas daraus ziehst. Noch schöner, wenn wir uns kennen und mögen, vielleicht magst du das Thema mit mir diskutieren, wenn wir uns das nächste Mal sehen…