Von Prioritäten und Entscheidungen

Immer wieder sagen wir “ich würde zwar gerne, habe aber keine Zeit” (oder kein Geld, keine Energie…) Dieser und ähnliche Sätze hinterlassen bei mir immer den leichten Beigeschmack von einer Ausrede. Natürlich hätten wir alle gern mehr Zeit, mehr Geld und mehr Energie um Dinge zu tun, die uns Freude bereiten. Aber schlussendlich steht hinter diesem Satz doch immer die Entscheidung, unsere Ressourcen für andere Dinge zu nutzen. Weil diese für uns eine höhere Priorität haben. Dies zu benennen und zu verstehen könnte meiner Meinung nach zu mehr Verständnis und Sicherheit im Umgang miteinander führen.

Die Ressourcen

Die Zeit

Wir alle haben gleich viel Zeit, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr. Ein Teil dieser Zeit ist durch lebensnotwendige Dinge wie Schlafen und Essen blockiert. Wie viel Zeit das benötigt ist individuell und kann sich im Laufe des Lebens auch verändern. Mal braucht man mehr Schlaf, mal weniger. Wir können uns vielleicht kurzfristig mit Hilfe von Traubenzucker, Koffein oder anderen aufputschenden Substanzen entscheiden, weniger zu schlafen, aber über längere Zeit ist das wohl eher ungesund. 
Schon beim Essen sieht es anders aus, einem Menschen ist es wichtig, das Essen zu geniessen und dementsprechend mehr Zeit dafür aufzuwenden, für jemand Anderen ist es eine Notwendigkeit, die möglichst schnell nebenbei erledigt wird. Wir treffen also eine Entscheidung, die einen Einfluss auf unsere Zeitressourcen hat. 
Ein weiterer Punkt ist die Arbeit, auch diese beansprucht einen grossen Teil unserer Zeit, hat aber auch einen Einfluss auf eine andere Ressource, das Geld.

Das Geld

Grundsätzlich kann man sagen, je mehr man arbeitet, desto mehr Geld und desto weniger Zeit hat man. Leider leben wir in einer Welt, in der Arbeit nicht (nur) nach Zeit entlöhnt wird, sondern nach irgendwelchen mir unverständlichen Kriterien. So bekommen wir alle für eine Stunde Arbeit unterschiedlich viel Geld.
Aber auch hier, es ist unsere Entscheidung, was für eine Arbeit wir machen und wie viel Zeit wir darin investieren. Ich habe mich dazu entschieden, eine Arbeit zu machen, die mir Spass macht, und nur so viel Zeit darin zu investieren, wie nötig ist, damit ich ein für mich gutes Leben führen, meine Grundkosten bezahlen kann und noch ein bisschen was übrig bleibt um mir andere Dinge zu ermöglichen, die mir im Jetzt Freude bereiten. Jemand anderes kann sich dazu entscheiden, möglichst viel zu Arbeiten, um später mehr Geld zu haben. Natürlich gibt es auch Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten können. Da ich in der Schweiz lebe und wir hier ein sehr gutes Sozialsystem haben, sind zum Glück auch diese Menschen finanziell abgesichert. Oder jemand kann sich dazu entscheiden, gar nicht zu Arbeiten, mit all den Konsequenzen, die dies nach sich zieht. All dies sind individuelle Entscheidungen und als solche legitim. 
Arbeit hat aber nicht nur einen Einfluss auf unsere Zeit und unser Geld, sondern auch auf unsere Energie.

Die Energie

Dies ist wohl die komplexeste Ressource die wir haben. Sie ist nicht fassbar, lässt sich nicht messen und auch nicht planen. Schlussendlich benötigt alles, was wir tun Energie. Manche Dinge mehr, andere weniger. Wie viel Energie etwas braucht ist absolut individuell. Und Dinge, die Energie brauchen, können uns auch Energie zurückgeben. 
Ganz viele Dinge haben einen Einfluss auf unsere Energie, auf einige Aspekte können wir Einfluss nehmen, auf andere nicht. So kann ich zum Beispiel darauf achten, dass ich genug Schlaf bekomme, aber nur bedingt darauf, wie erholsam dieser Schlaf ist. Ich kann mich dazu entscheiden, früh zu Bett zu gehen, und wenn mein Körper nicht Schlafen will, kann ich dem vielleicht mit einem Tee oder Medikamenten abhilfe schaffen. Trotzdem kann ich Alpträume haben und am nächsten Morgen völlig erschlagen und energielos aufwachen.
Je besser wir wissen, welche Faktoren sich wie auf unsere Energie auswirken, desto besser können wir mit ihr umgehen und sie in unsere Entscheidungen einbeziehen.

Die Entscheidungen

Meiner Meinung nach ist unser ganzes Leben geprägt von Entscheidungen. Manche davon sind bewusst getroffen, andere unbewusst. Wir entscheiden uns immer wieder dazu, etwas zu tun oder etwas nicht zu tun, etwas zu sagen oder etwas nicht zu sagen. Und dies können wir immer nur im Moment machen. Natürlich gibt es Entscheidungen, die länger brauchen um zu reifen und andere, die wir schnell treffen. Manche Entscheidungen sind wichtig, andere weniger wichtig. Welche Entscheidung für jemanden wichtig ist, ist auch sehr individuell und kann von Mensch zu Mensch völlig unterschiedlich sein. Ob es uns bewusst ist oder nicht, wir treffen unsere Entscheidungen meist anhand von unseren Prioritäten.

Die Prioritäten

Auch hier, Prioritäten sind etwas völlig individuelles, jeder Mensch hat seine Eigenen und sie können sich von Situation zu Situation verändern. Dennoch denke ich, dass man sie grob in kurzfristige / momentane und langfristige Prioritäten einteilen kann. Um ein Beispiel von oben aufzugreifen, kann ich die langfristige Priorität haben, mir fürs Essen Zeit zu nehmen, es zu geniessen und zu zelebrieren. Dennoch kann es Situationen geben, in denen die momentane Priorität bei anderen Dingen liegt und ich mich dazu entscheide, dies gerade anders zu machen. 

Meine Gedanken dazu

In zwischenmenschlichen Dingen kann dies schnell zu Missverständnissen führen. So kann ich einer Beziehung eine langfristige Priorität geben, aber in einer bestimmten Situation doch mehr Ressourcen in anderes Investieren weil es im Moment gerade mehr Priorität hat. Und genau in solchen Situationen kommen oft Sätze wie “Ich würde gern, habe aber keine Zeit”. Und das ist völlig legitim.
Trotzdem frage ich mich, ob es nicht ehrlicher wäre und zu mehr Verständnis führen könnte, wenn man an Stelle dieses Satzes erklären würde, warum man keine Zeit hat. Zum Beispiel “Ich würde gerne, aber ich bin gerade mit xy beschäftigt und das ist mir aus diesen Gründen gerade wichtiger.” Oder, “Es wäre schön, mit dir an das Konzert kommen, aber ich gebe mein Geld lieber für neue Farben aus.” Oder “Ich würde dich gern Besuchen, aber die Fahrt ist mir zu Anstrengend, darum besuche ich lieber jemanden in der Nähe.”
Natürlich kann es auch weh machen, wenn man gesagt bekommt, dass momentan etwas anderes wichtiger ist. Dennoch denke ich, dass es einfacher ist, damit umzugehen, wenn man die Hintergründe versteht. 

Manche werden sich jetzt fragen, muss man sich denn immer und für alles Rechtfertigen? Nein, muss man natürlich nicht. Auch hier ist es immer eine Entscheidung ob und wie genau man jemandem erklärt, warum man keine Zeit, kein Geld oder keine Energie hat. Und auch hier spielen die Prioritäten mit rein, ist es mir gerade wichtig, dass mein Gegenüber die Gründe versteht oder nicht? Will ich meinem Gegenüber die Möglichkeit geben, es zu verstehen oder will ich nur sagen, dass es nicht geht? 

Vor allem, wenn die momentanen Prioritäten von den langfristigen abweichen, kann es meiner Meinung nach in zwischenmenschlichen Belangen helfen, diese Abweichung zu verstehen, zu wissen, woher sie kommen und dadurch auch die Sicherheit zu bekommen, dass sich die langfristigen Prioritäten nicht verändert haben. Und Ich denke, die Offenheit könnte auch dazu beitragen, dass man sich besser kennen und verstehen lernt.