Shutdown

Dies bedeutet soviel wie Abschalten. Früher dachte ich, dass ich eine dissoziative Störung habe, bei der ich mich aus unerfindlichen Gründen keine Gedächtnislücken habe. Heute weiss ich, dass ein Overload dazu führt, dass ich in einen -der Dissoziation ähnlichen- Zustand verfalle. Ich schalte ab, verschliesse mich dann ganz in mir selbst, bin meist nicht mehr fähig zu kommunizieren und mir gleichzeitig völlig bewusst, dass mein Verhalten gerade alles andere als konstruktiv ist. Ich spüre dann auch meinen Körper und meine Emotionen nicht mehr richtig. Wenn ich mir dann zum Beispiel weh mache, merke ich zwar, dass da ein Input auf meinen Körper kommt, der eigentlich weh machen sollte, empfinde aber den Schmerz nicht. Genauso nehme ich rational wahr, welche Emotionen meinen -dann sehr lauten, schnellen und destruktiven- Gedanken zugrunde liegen, bin aber nicht fähig sie wirklich zu fühlen. Ich will aus dem Zustand raus, ich will nicht so sein, ich will kommunizieren, will die Umarmung annehmen können. Aber es ist mir unmöglich, es geht nicht, so sehr ich mich auch anstrenge. Und das macht es nur umso schlimmer. Alles was ich machen kann, ist aushalten und warten, bis es vorbei ist. Alles was mein Umfeld machen kann, ist die Situation annehmen, mir wenn nötig ja / nein Fragen stellen und vor allem mich nicht unter Druck setzen. Und mir nachher die Zeit geben, wieder zu regenerieren, denn so ein Shutdown ist wahnsinnig anstrengend.

Overload

Dies heisst so viel wie Überlast. Und das bin ich ganz oft, überlastet. Von zu vielen Reizen, von zu vielen Emotionen, von Entscheidungen. Ich fühle mich dann überfordert und überflutet von all den Eindrücken und Dingen, die auf mich einstürmen, ohne die Zeit, sie zu verarbeiten. Früher habe ich das meist unterdrückt, habe so getan, als sei nix, weil alle anderen das ja auch händeln können. 

Es sind oft kleine Dinge, welche gesammelt zu einem Overload führen oder eben dazu beitragen, ihn aushaltbar zu machen. Inzwischen, mit dem Wissen, dass ich wirklich mehr Eindrücke wahrnehme und auch alles tiefer verarbeite als neurotypische Menschen, habe ich gelernt, die Anzeichen frühzeitig zu erkennen und zu kommunizieren. 

Ich habe Strategien gefunden, wie ich mich selbst regulieren kann und auch, wie mir nahe Menschen dabei helfen können. Ich habe gelernt, mich aus Situationen herauszunehmen, wenn Sie mir zu viel sind und meine Grenzen auch in kleinen Dingen zu ziehen. So entscheide ich zum Beispiel an einer Party bewusst, wen ich zur Begrüssung umarme, wem ich die Hand gebe und wem ich einfach nur winke und Hallo sage, ohne dass ich Angst habe, jemand könnte es persönlich nehmen. Oder ich mache einfach die Augen zu und lasse mich führen, um den visuellen Eindrücken nicht ausgesetzt zu sein. Und ich habe gelernt, dass ich nach potentiell überfordernden und reizintensiven Unternehmungen (wozu zum Beispiel auch Einkaufen zählt) Regenerationszeit brauche und diese besser einplane.

Folgen eines Overloads können ein Shutdown oder Meltdown sein.

Ungefiltert und Durchlässig

Dies sind zwei Zustände, mit denen ich mich manchmal selbst bezeichne. Um sie verständlich zu machen, muss ich zuerst erklären, was ich mit Filtern meine.

Ich filtere ständig in zwei Richtungen, nach aussen und nach innen. 

Nach innen ist es mehr eine Übersetzungsfunktion. Mensch macht oder sagt irgendwas, Mensch will damit wahrscheinlich xy ausdrücken / erreichen. Dabei unterscheide ich stark zwischen individuellem Lieblingsmenschen und der Durchschnittsgesellschaft.
Zudem ist es eine Fokussierung auf möglichst wenige Reize. Es ist ein aussortieren von dem, was wichtig ist, und dem, was nicht wichtig ist. Zum Beispiel in einer Bar der Fokus auf das Gespräch, das ich gerade führe, auch wenn ich denen an den Tischen rundum trotzdem passiv zuhöre. Es ist ein Relativieren des Hintergrundrauschens.  

Nach aussen ist es ein Filtern, wie viel von dem, was ich gerade wahrnehme, ich ausdrücke und wie ich das mache. Wie viel Ich zeige ich, wie viel maskiere ich.

Diese zwei Filterarten laufen beinahe ständig mit. Aber es gibt Momente, in denen ich mich als durchlässig und/oder ungefiltert bezeichne. Oft kommen sie zusammen vor. Das sind Momente, in denen ich meine Filter ausgeschaltet habe. In der Durchlässigkeit nehme ich jede Aussage ernst und jede kleine Unstimmigkeit als grosse Bedrohung wahr. Auch bin ich dann körperlich noch reizempfindlicher als sonst. Es ist ein wunderbarer Zustand, solange alles gut ist. Aber ganz schrecklich, wenn dann blöde Dinge passieren, und sei es nur, dass ich mitbekomme, wie sich jemand unabsichtlich weh macht.
Ungefiltert bin ich absolut ehrlich und direkt, ich denke dann nicht darüber nach, wie etwas auf andere wirken könnte, sondern gehe davon aus, dass sie es schon richtig verstehen werden. Das sind Momente, in denen ich jegliche “macht man so” völlig vergesse und nur meinem Instinkt folge. 

Man könnte sagen, dass ich ungefiltert und durchlässig am meisten Ich bin und man hätte damit durchaus recht. Ich bin dann auf eine gewisse Art sehr kindlich, neugierig und unbeschwert. Und das ist wunderschön. 

Aber es sind auch genau die Zustände, in denen ich den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen bin. Ich kann schlicht nicht Arbeiten, wenn ich jedes Mal, wenn ich mir in den Finger steche, einen Weinkrampf bekomme und jemanden brauche, der mich tröstet.

Unmasking / Entmaskieren

Wie der Begriff schon sagt, geht es dabei darum, die Maske abzulegen. Oft hört man, dass Menschen nach der Diagnose “autistischer” werden. Auch auf mich bezogen könnte man dies durchaus behaupten. Aber natürlich ist es nicht so. Was aber durchaus so ist, zumindest bei mir, ist, dass ich es weniger verstecke. Weil ich jetzt weiss, wie viel es mich kostet, beispielsweise in einem Gespräch Blickkontakt zu halten. Es ist ein laufender Prozess, den ich sicher noch nicht abgeschlossen habe, es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich mich nochmals neu und vor allem viel tiefer kennenlernen. 

Dies ist unglaublich bereichernd, aber auch anstrengend. Ich bin wahnsinnig dankbar dafür, dass ich Menschen an meiner Seite habe, die mich darin begleiten und unterstützen. Menschen, die mir die Sicherheit und den Schutz geben, welchen mir früher das Maskieren gegeben hat, bis ich irgendwann hoffentlich genug Selbstvertrauen habe, dass diese Sicherheit auch ohne Maskieren aus mir selber kommt.

Masking / Maskieren

Ein Begriff, den ich zutiefst fühle. Gerade wenn ich mich Stresssituationen (im positiven wie negativen, selbstgewählt sowie von der Gesellschaft aufgezwungen) aussetze und vorher genügend Zeit habe, ist mein Äusseres ein starkes Schutzschild für mich. Oft drückt sich das in Kleidern und Schminke aus. Es ist in gewissem Masse eine Maske, die ausdrückt, wie ich gern wahrgenommen werden möchte. Einen Teil von mir stärker hervorhebt oder einen anderen in den Hintergrund drängt. Es ist kein Verkleiden, es ist eher eine Rüstung.

Ich habe mal folgenden Satz in mein Tagebuch geschrieben: “Wie ich bin, stimmt nicht mit dem überein, was ich glaube, sein zu müssen, um auf dieser Welt nicht kaputt zu gehen.”

Ein anderes Wort, welches mich in dem Zusammenhang sehr berührt hat, ist “Anpassungsleistung”. Wenn ich unter Menschen bin, passe ich mich an, verhalte mich so, wie ich denke, dass es von mir erwartet wird. Dies mache ich vorwiegend aus Selbstschutz, dennoch ist es etwas, was sehr viel Energie kostet und im schlimmsten Fall zu einem Overload mit Shutdown oder einem autistischen Burnout führen kann. 

Rückblickend denke ich, dass ich schon als Kind sehr gut beobachtet habe, welches Verhalten welche Reaktionen hervorruft. Und weil ich nie “negativ” auffallen wollte, habe ich mir dann besagte Verhaltensmuster einfach versagt oder angeeignet. Seit ich mir dessen bewusst bin, versuche ich das Maskieren nur noch möglichst wenig und vor allem gezielt einzusetzen.

Hochfunktional

Schon bevor ich mich mit Autismus beschäftigt habe, habe ich -vor allem in Stresssituationen- oft gesagt, dass ich “funktioniere”. Funktionieren ist nun aber nicht Leben. Ein toller Satz, über den ich während meiner Recherchen gestolpert bin und den ich sehr fühle, ist: “Frag mich nicht, ob ich es kann, frag mich, was es mich kostet.” Also ja, ich habe die kognitiven Fähigkeiten, mich anzupassen, mich irgendwie in dieser Welt zurechtzufinden, zu funktionieren, wie es vom System vorgesehen ist. Aber es ist sehr anstrengend, vor allem wenn ich es ständig machen muss. Und es ist nur mein Äusseres, das dann funktioniert, mein Inneres ist dann entweder komplett überfordert oder schon längst abgeschaltet. 

Es ist ein Prozess, ein Herausfinden, wo und wann es wichtig ist, dass ich funktioniere und wo ich einfach sein kann, wie ich bin. Denn wenn ich gar nicht mehr funktioniere, werde ich sehr abhängig und dafür ist mir meine Autonomie viel zu wichtig.

Reizfilterschwäche

Hier geht es darum, dass das Hirn nicht automatisch filtert, welcher Reiz gerade wichtig ist. Es prasseln einfach alle Reize gleichzeitig auf einen ein und man muss sie quasi manuell in wichtig und unwichtig sortieren. Dabei verschwinden die unwichtigen Reize nicht einfach, sondern sind nach wie vor präsent und es braucht einen Teil der Konzentration, sie nicht zu beachten. Jeder neue Reiz wird vom Gerin als der gerade Wichtigste wahrgenommen, was auch dazu führt, dass man schnell ablenkbar ist. 

Auch hier gibt es Strategien, die helfen können, in meinem Atelier habe ich extra undurchsichtige Vorhänge, damit mich Spaziergänger oder Vögel nicht ablenken können.

Hochsensibilität

Hochsensibilität trifft auf etwa 15-20% der Menschen zu und kann auch ein Merkmal von Autismus sein. Dabei geht es auch um die neurologische Funktionsweise, Hochsensibilität ist also für sich allein genommen schon eine Neurodivergenz und kommt vermehrt mit anderen Neurodivergenzen gepaart vor. Oft lese ich davon, dass spät diagnostizierte Menschen über die Hochsensibilität zum Autismus finden und so war es auch bei mir. 

Es bedeutet, dass man sensibler für verschiedene Eindrücke ist und auch mehr wahrnimmt. So kann man taktil, visuell, olfaktorisch oder akustisch hochsensibel sein. Es werden alle Reize gleich stark wahrgenommen, egal ob sie wichtig sind oder nicht. Zudem sind hochsensible Menschen auch oft empfindlicher auf Stimmungen und nehmen Emotionen sehr intensiv wahr. 

Hochsensibilität hier annähernd vollständig zu erklären, würde den Rahmen sprengen, jedoch ist es mir wichtig zu erwähnen, weil leider immer noch das Vorurteil besteht, dass autistische Menschen eher wenig sensibel und empathisch sind. 

Einige Beispiele für meine Hochsensibilität: Ich muss aus allen Kleidern die Etiketten rausschneiden, weil sie mich sonst ständig jucken. Das Licht in Geschäften ist für mich oft unangenehm hell. Wenn ich in einer Bar sitze, muss ich mich aktiv konzentrieren, um nicht allen Gesprächen in meiner Umgebung zuzuhören. Musikboxen haben zu wenige Lautstärkestufen im leisen Bereich. Wenn Menschen, die ich gut kenne, irgendwas beschäftigt, merke ich das. Ein unangenehmer Duft kann mich in den Wahnsinn treiben und ein gutes Dessert kann mich fast in Extase bringen.

Oversharing

In Deutsch “übermässiges Teilen”

Damit ist ein übermässiges Bedürfnis, sich mitzuteilen, gemeint. Es wird -vor allem von neurotypischen Menschen- meist als “zu viel Information” wahrgenommen. Als Beispiel könnte man hier jemanden nehmen, der auf die Small-Talk-Frage “Wie geht es dir?” beginnt, ausführlich von seinen privaten Problemen zu erzählen. Oder jemanden, der jede Kleinigkeit aus seinem Leben auf Social-Media teilt. 

Ich persönlich mag es sehr, wenn Menschen das machen, solange ich die Möglichkeit habe, mich zu melden, wenn ich nicht (mehr) aufnahmefähig bin. Und vor allem wenn es mir gut geht, neige ich auch dazu, dies in die Welt hinaus zu schreien. Genauso wie ich in Gesprächen -wenn ich mich genug sicher fühle- dazu neige, vom hundertsten ins tausendste zu kommen und mich im Detail mitzuteilen.

Overthinking

Die deutsche Übersetzung dafür ist “Überdenken”, ich finde dies aber nicht ganz so passend. Overthinking beschreibt das Phänomen des “zu viel Denken”. Wie im Beitrag zum Wort Autismus schon angedeutet, ist mein Kopf ständig beschäftigt, da läuft ein stetiger innerer Dialog. 

Ich habe meine Denkprozesse mal so beschrieben: In meinem Hirn hat es einen alten PC, den ich PC-Boy genannt habe und den niemand kontrollieren kann. Dieser PC ist ständig damit beschäftigt, alle mir bekannten Faktoren zu analysieren und zu schauen, was daraus für Möglichkeiten entstehen. Dazu nimmt er noch mögliche unbekannte Faktoren, Vermutungen, Annahmen, Wahrscheinlichkeiten, Zufälle, was dann wiederum noch mehr Möglichkeiten zum Analysieren ergibt. Daraus filtert er an guten Tagen die Wahrscheinlichkeiten, auf die ich mich vorbereite, und an schlechten Tagen läuft er in Kreisen oder Spiralen unendlich weiter, bis er überhitzt.